«Frösche haben einen Lebenszyklus, der aus zwei Abschnitten besteht: Dem Frosch, der an Land lebt, und seiner Larve, der Kaulquappe, die im Wasser lebt. Kennt man nur den Frosch, aber nicht die Larve, fehlt entscheidendes Wissen über die Lebensweise der Art. Wir können in dem Fall auch nicht für den Schutz dieser Arten sorgen, weil wir deren Ansprüche an den Lebensraum nicht verstehen. Leider ist das noch bei vielen Arten in den Tropen der Fall. Dort gibt es unzählige Spezialisierungen an unterschiedliche Gewässer und Ernährung. Daher entstand dort auch eine unglaubliche Vielfalt, was den Körperbau der Larven betrifft», sagt Stefan Hertwig, Mitglied des Forschungsteams seit 2003 und Leiter der Abteilung Wirbeltiere des Naturhistorischen Museums Bern.
Neue Standards für Dokumentation
In Kooperation mit Alexander Haas des Leibniz-Instituts zur Erforschung des Biodiversitätswandels (LIB) und Indraneil Das vom Institute of Biodiversity and Environmental Conservation, UNIMAS Kuching, Malaysia, sammelte das Team in zahlreichen Expeditionen seit 2001 darum eine Fülle von Daten über Borneos Froscharten und die dazugehörigen Kaulquappen. Zahlreiche malaysische, deutsche und Schweizer Student:innen beteiligten sich an den Exkursionen und trugen mit ihren Bachelor- und Masterarbeiten zum Erfolg des Projekts bei.
«In der Schweiz leben rund 10 Arten von Fröschen. Allein auf Borneo sind 165 bekannt, die tatsächliche Anzahl dürfte bei 250 liegen. Als wir mit unserem Projekt starteten, waren die Kaulquappen von lediglich 30 Arten bekannt. Zudem waren zahlreiche Froscharten unentdeckt. Erst genetische Methoden haben einfache Wege zur Identifikation unbekannter Arten und zur Identifikation ihrer Kaulquappen ermöglicht. Am Anfang standen zahllose Expeditionen in die verbliebenen Reste der Regenwälder Borneo. Auch dort ist die Zerstörung der Lebensräume weit fortgeschritten, unsere Arbeit war also ein Wettlauf gegen die Zeit.», sagt Stefan Hertwig.
Das Team musste entsprechend eigene Strategien, Fähigkeiten, Werkzeuge und Techniken entwickeln, um Kaulquappen zu finden, zu fangen und zu dokumentieren. Es entwickelte etwa Standards dafür, wie lebende Kaulquappen unter Feldbedingungen tief im Dschungel wissenschaftlich fotografiert werden können. Die akribische Zusammenstellung von qualitativ hochwertigem Bildmaterial bildete im Laufe der Jahre die Grundlage für das Buchprojekt. Die eindeutige Zuordnung der Kaulquappen zu den Fröschen erfolgte dann im Labor mittels genetischer Identifikation.
Zahlreiche Neuentdeckungen
Die intensive Arbeit des Forscherteams führte zu vielen Entdeckungen: Mehrere Kaulquappen, die zuvor nicht wissenschaftlich beschrieben worden waren, konnten gesammelt und untersucht werden. Neben den Daten über die Larven konnten auch eine Reihe neuer Froscharten entdeckt und werden. Diese Arbeiten ermöglichten neue Einblicke in die Ökologie und Morphologie bestimmter Arten, sowohl im Kaulquappen- als auch im erwachsenen Lebensstadium. Die Ergebnisse sind inzwischen in einer ganzen Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlicht worden.
Das nun auf Englisch vorliegende Buch «A Guide to the Tadpoles of Borneo» richtet sich an ein breites Publikum und ermöglicht einen einfachen Zugang zur Kaulquappenfauna Borneos. Es will das Bewusstsein für diese Lebensstadien schärfen, ihre Vielfalt dokumentieren und Einblicke in ihre faszinierende Biologie geben.
Weitere Auskünfte:
Stefan Hertwig, Leiter Wirbeltiere NMBE, stefan.hertwig@nmbe.ch