Sie ist 39 Millimeter lang und 2,9 Gramm schwer: Im Februar 2021 wurde im Bernischen Historischen Museum eine Pfeilspitze aus Eisen identifiziert, die aus einer bronzezeitlichen Pfahlbaustation bei Mörigen am Bielersee (900–800 v. Chr.) stammt und im 19. Jahrhundert bei Ausgrabungen gefunden wurde. Die Fundstelle liegt nur wenige Kilometer vom Streufeld des sogenannten Twannberg-Meteoriten entfernt. Um das unersetzliche historische Artefakt nicht zu beschädigen, musste bei der Analyse auf zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden zurückgegriffen werden. Eine detaillierte interdisziplinäre Untersuchung der Pfeilspitze konnte zweifelfrei bestätigen, dass sie aus meteoritischem Eisen hergestellt wurde. Die Resultate wurden nun von einer internationalen Gruppe von Wissenschaftler:Innen im «Journal of Archaeological Science» publiziert.
Heute ist Eisen das meistverwendete Metall. Die Kunst, aus Erz Eisen herzustellen, ist in Zentraleuropa seit Beginn der Eisenzeit um 800 v. Chr. bekannt. Vor dieser Zeit galt das Metall als äusserst rar und kostbar — es war nur aus Meteoriten bekannt. Archäologische Objekte aus meteoritischem Eisen sind darum extrem selten und sie wurden einst wohl nicht als Gebrauchsgegenstände eingesetzt. In ganz Eurasien und Afrika sind nur 55 solche Objekte bekannt, diese stammen von 22 verschiedenen Fundstellen. Allein 19 Objekte stammen aus dem Grab des Pharaos Tutanchamun in Ägypten. Nur ein Teil der Artefakte wurde allerdings mit modernen analytischen Methoden untersucht.
Neue Untersuchungsmethoden für meteoritische Artefakte im Einsatz
Das Naturhistorische Museum Bern erforscht das Twannberg-Meteoritenstreufeld im Berner Jura (Schweiz), wo über 2000 Fragmente eines Eisenmeteoriten gefunden wurden, der vor etwa 170 000 Jahren auf die Erde fiel. Begleitend wurden mittels eines tragbaren Analysegeräts (Röntgenfluoreszenz, XRF) viele archäologische Objekte aus der Region auf hohe, für Meteoriten typische Nickelgehalte analysiert, um diese Frage zu klären: Waren Stücke des Twannberg-Meteoriten eventuell schon vor langer Zeit bekannt und wurden sie verwendet? Wurde etwa die Pfeilspitze von Mörigen daraus hergestellt?
Die eingesetzten Methoden für die Analyse der Pfeilspitze umfassen Lichtmikroskopie, Rasterelektronenmikroskopie, Röntgentomographie, Röntgenfluoreszenz, Myonen-induzierte Röntgenspektrometrie (MIXE) und hochempfindliche Gammaspektrometrie. Die beiden letzterwähnten Methoden stammen aus der Kern- und Teilchenphysik und wurden erstmals zur Charakterisierung eines aus einem Meteoriten hergestellten archäologischen Gegenstandes angewendet. MIXE erlaubte die chemische Analyse des Metalls unter einer millimeterdicken Rostschicht. Mittels Gammaspektrometrie gelang der Nachweis von Aluminium-26, ein Beweis dafür, dass der Meteorit über lange Zeit im Weltall der kosmischen Strahlung ausgesetzt war. An der Oberfläche der Pfeilspitze wurden zudem Spuren der Bearbeitung durch Schleifen festgestellt, sowie Reste von Teer, der vermutlich zur Befestigung an einem Pfeil diente.
Überraschendes Untersuchungsergebnis in Bezug auf Twannberg-Meteorit
Diese Untersuchungen zeigen eindeutig, dass es sich um ein Stück Eisenmeteorit handelt — überraschenderweise jedoch nicht vom nahen Twannberg-Streufeld! Mit rund 8,3 Prozent Nickel ist der Gehalt dieses Elementes in der Pfeilspitze fast doppelt so hoch wie im Twannberg-Meteorit. Ein hoher Germanium-Gehalt zeigt ausserdem, dass es sich sehr wahrscheinlich um einen Meteoriten des Typs IAB handelt. Weiter konnte gezeigt werden, dass die eher niedrige Konzentration von Aluminium-26 darauf hindeutet, dass die Probe aus dem Innern eines Meteoriten stammt, der ursprünglich eine Masse von mindestens zwei Tonnen hatte. Bekannte grosse IAB-Eisenmeteoriten gibt es in Europa nur wenige. Als wahrscheinlichste Herkunft wird der Meteorit «Kaalijarv» angenommen, der während der Bronzezeit (ca. 1500 v. Chr.) in Estland fiel. Der Fall dieses Meteoriten produzierte mehrere Krater mit bis 100 Metern Durchmessern. Da die grössten Meteoritenfragmente am Boden explodierten, müssten viele kleine Splitter entstanden sein. Weitere Analysen in archäologischen Sammlungen Europas könnten Hinweise geben, ob sich die Spur der Pfeilspitze aus Mörigen nach Estland bestätigen lässt.
Vom 1. Februar 2024 bis am 21. April 2025 wird die Pfeilspitze im Rahmen der Sonderausstellung «Und dann kam Bronze!» im Bernischen Historischen Museum zu sehen sein — zusammen mit der Bronzehand von Prêles.
Beteiligte Institutionen:
- Naturhistorisches Museum Bern: Idee für Studie und Koordination, Co-Entdeckung, Analytik Röntgenfluoreszenz (Prof. Beda Hofmann, Projektleitung)
- Bernisches Historisches Museum: Besitzerin der Pfeilspitze, Co-Entdeckung (Kuratorin Sabine Bolliger Schreyer)
- Paul-Scherrer-Institut: Analytik mit MIXE (Dr. Alex Amato)
- Institut für Geologie, Universität Bern: Röntgentomographie, Rasterelektronenmikroskopie (Prof. Pierre Lanari)
- Physikalisches Institut, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland: Gamma-Spektrometrie (Prof. Marc Schumann)