Diese Neufunde kann man getrost als «Planggenstock der Paläontologie» bezeichnen. Den Paläontologen des Naturhistorischen Museums sind in einem Steinbruch im Aargauer Jura 2016, 2017 und 2020 extrem seltene Funde gelungen: Wunderbar erhaltene Stachelhäuter in Gesteinen des mittleren Juras. Unversehrte Skelettfunde von Seesternen und Co. in diesen Schichten sind extrem selten. Die bisher bekanntesten wurden in den 1960er-Jahren in einem Steinbruch bei Schinznach (AG) entdeckt. Im Vergleich zu diesen – weltbekannten – Funden sind die neuen Funde deutlich besser und vollständiger erhalten.
Warum sind vollständige Stachelhäuter in dieser Gesteinsschicht (Hauptrogenstein) so selten? Üblicherweise kommen die Stachelhäuter nur noch als kleine Skelettteilchen im Gestein vor. Die Gesteinsschicht Hauptrogenstein entstand vor 170 Millionen Jahren in einem warmen, seichten, ständig bewegten Meer – ähnlich wie heute auf den Bahamas. Gut erhaltene Fossilien sind rar: Das rollende Wasser zerschlug die feingliedrigen Skelette, überzog deren Reste mit Kalk und formte sie dabei zu perfekten Kügelchen. Diese erinnern an Fischlaich, den Rogen, was der Gesteinsschicht den Namen gab.
Am Anfang stand ein Jahrhundertsturm
Warum aber sind die Tiere aus diesem Fund so gut erhalten? Dazu brauchte es einen grossen Zufall: Am Standort, wo heute der jura cement Steinbruch steht, ereignete sich vor 170 Millionen Jahren ein Jahrhundertsturm. Die Tiere, die dabei umkamen, wurden nicht weit weg transportiert und mit feinkörnigem Schlamm überdeckt. Die grosse Katastrophe wurde zum Glücksfall für die Paläontologie.
Mit 3D-Brille den Steinbruch erleben
In einer Sonderausstellung zeigt das Naturhistorische Museum Bern die spektakulären Funde zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Im Mittelpunkt steht das zwei Quadratmeter grosse Highlight: Eine Gesteinsplatte, auf der alle fünf Stachelhäuter-Gruppen vereint sind. Auf der 170 Millionen Jahre alten Platte sind Seeigel, Seesterne, Schlangensterne, Seelilien und Seegurken in ihrer filigranen Schönheit wunderbar erhalten. Wie entdecken Laien aber die verschiedenen Arten, die sich auf der Platte tummeln? Mittels einer Lichtinstallation, welche die Besuchenden selber steuern, können die Arten jeweils einzeln angeleuchtet werden.
Die Inszenierung der Ausstellung ist unkonventionell: Beim Eingang erhalten die kleinen und grossen Fossilienfreaks eine 3D-Brille. So wird der Fundort Steinbruch zur eindrücklichen Kulisse. Neben der Gesteinsplatte werden weitere Objekte aus dem Hauptrogenstein gezeigt, unter anderem aus der Sammlung der Fondation Paléontologique Jurassienne (FPJ) und die Fossilien vom Steinbruch Heister bei Schinznach Dorf – der bereits erwähnt Fund, der in den 1960er-Jahren grosse Aufmerksamkeit erlangte. Mit der Übernahme der FPJ-Sammlung ist das NMBE zu dem Forschungsstandort in der Schweiz für Versteinerungen der Jurazeit geworden.
Mit einem Video der Filmer Jörg Fritschi und Paul Wirth erleben die Besuchenden die Paläontologen live bei der Arbeit – sei es auf der Fundstelle, im Sammlungskeller oder im Präparatorium, wo die Fossilien mit grosser Sorgfalt stundenlang freigelegt werden.
Der Zutritt zum Steinbruch im Aargauer Jura ist verboten. Doch die Firma cement jura AG (Wildegg) hat dem Museum eine Bewilligung für die Fossiliensuche erteilt und informiert jeweils über neue Sprengungen. Dank dieser inzwischen über siebenjährigen Zusammenarbeit sind die seltenen Funde überhaupt möglich geworden. Für Privatpersonen ist der Zutritt zum jura cement Steinbruch nicht erlaubt.
Die Sonderschau zeigt, wie die Zementproduktion dank kontinuierlichem Abbau der Gesteine immer wieder Fenster öffnet, durch welche die Paläontologen einen Blick in die Vergangenheit werfen können.
Die Stachelhäuter sind eine uralte Tiergruppe. Bereits seit mehr als 500 Millionen Jahren bevölkern sie die unterschiedlichsten Lebensräume der Meere – vom Tiefseegraben bis zum Sandstrand. Heute gibt es weit mehr als 6000 Arten, welche bevorzugt Flachmeere bewohnen. Stachelhäuter sind Seeigel, Seesterne, Schlangensterne, Seelilien und Seegurken. Allen gemeinsam sind ein fünfstrahliges Grundgerüst und stachlige Haut. Die Vertreter dieser fünf Klassen haben sich über die lange Zeit kaum verändert. Einzig die gestielten Formen der Seelilien waren im Jurameer häufig und imposant, heute leben davon nur noch kleinere Exemplare in der Tiefsee. Die Seegurken sind wohl am wenigsten bekannt: Sie nehmen am Meeresboden kriechend Schlamm auf. Das fünfstrahlige Grundgerüst ist bei Seegurken nur noch an fünf Reihen winziger Füsschen und im Schlund nachweisbar.
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