Wieso setzt sich ein naturhistorisches Museum mit Provenienzforschung auseinander? Fundort, Todesdatum und Donator:innen der Tiere sind bekannt, sonst wären sie wissenschaftlich wertlos. Aber hinter den Präparaten, Knochen, Mineralien und Fossilien stecken auch interessante Geschichten, die über nüchterne Daten hinausgehen und durch die Provenienzforschung offengelegt werden. Wer hat für das Museum Tiere beschafft? Was trieb diese Akteur:innen an, von wem wurden sie beauftragt? Was erlebten sie auf ihren Reisen und mit wem standen sie im Kontakt? Die Antwortsuche führt unter anderem in die Kolonialgeschichte.
Im Fall des NMBE stammt ein grosser Teil der «Tiere Afrikas» aus den einst von Grossbritannien besetzten Gebieten Ostafrikas, namentlich Kenia und Uganda. Die Grosswildjägerin Vivienne von Wattenwyl und ihr Vater Bernard von Wattenwyl erlegten die Tiere zwischen 1923 und 1924 auf einer Jagdreise und liessen die Häute und Knochen nach Bern schaffen. Die beiden profitierten dabei von den kolonialen Strukturen, also von der Ausbeutung des Wissens und der Arbeitskraft der lokalen Bevölkerung.

Intensiv erforscht wurde etwa auch die Geschichte der ausgestellten angolanischen Rotbüffelkuh (s. Bild oben), die 1955 ihren Weg über den Grosswildjäger Joseph Fénykövi nach Bern fand. Wie die Provenienzforscherin Sarah Csernay unter anderem dank Dokumenten aus dem museumseigenen Archiv recherchieren konnte, wurde dieses Tier nicht nur aus rein wissenschaftlichen Beweggründen geschossen, sondern es spielte auch eine Melange aus Geltungssucht, Ehrgeiz, kolonialem Gebaren und europäischen Überlegenheitsfantasien eine tragende Rolle. Bereits in den 1950er-Jahren wurde öffentlich kritisiert, dass die Grosswildjagd von Fénykövi zum Teil mit Methoden durchgeführt wurde, die in krassem Gegensatz zu den wissenschaftlich fundierten Ansprüchen des Museums standen, da sie weder jagdlichen Gepflogenheiten noch dem Tierschutz entsprachen. Sarah Csernays entsprechender Aufsatz unter dem Titel «Im Visier der Wissenschaft» wurde 2024 publiziert (s. unten).
2022 hat unser Ausstellungsteam die 38 historischen Dioramen «Tiere Afrikas» unter Einbezug einer internationalen Expert:innen-Gruppe in einer kleinen Ausstellung im Eingangsbereich in den kolonialen Kontext gestellt. Seither wird die umstrittene Geschichte und der eurozentrische Blick auf den afrikanischen Kontinent thematisiert. Die Beschriftungen der Schaukästen vermitteln nicht länger nur minimale Angaben wie deutsche und lateinische Namen und Gefährdungsstatus eines Tiers, sondern zusätzliche wissenswerte Informationen zu seiner Lebensweise, zum Artenschwund und zur Lebensraumzerstörung – sowie die Tiernamen in der jeweiligen Amtssprache des Herkunftsgebiets. Alle in der Ausstellung verwendeten Bilder und Begriffe wurden einer kritischen Prüfung unterzogen und gegebenenfalls kontextualisiert.
Im Rahmen des Gesamtprojektes «Diorama - Geschichte, Idylle, Illusion» hat das Team alle 210 historischen Dioramen des Museums inhaltlich überarbeitet, so auch die «Tiere der Schweiz», «Tiere des Nordens» und «Tiere Asiens». All diese Schritte sind einzelne Teile eines übergeordneten Puzzles. Wir nehmen unsere Aufgabe ernst, die Geschichte der Herkunft unserer Sammlungen Stück für Stück sichtbar zu machen.
Csernay, Sarah: «Im Visier der Wissenschaft. Jagen am Ende der Welt», in K. Lee Chichester, Priska Gisler, Kunstmuseum Bern (Hrsg.): «Koloniale Tiere? Tierbilder im Kontext des Kolonialismus», Neofelis, Berlin, 2024, S. 305-327.
Csernay, Sarah und Hertwig, Stefan: «Kontextualisierung zoologischer Sammlungen», in: Verband der Museen der Schweiz (Hrsg.): «Provenienzforschung im Museum II. Sammlungen aus kolonialen Kontexten. Grundlagen und Einführung in die Praxis», VMS, Zürich, 2022, online verfügbar.
Strahm, Dora und Christ, Stefanie: «Zwischen Idyll und Lebensraumzerstörung: neuer Blick auf Afrika-Dioramen», in: Medaillon. Informationen aus der Burgergemeinde Bern, Nr. 38, November 2022, S. 8-9, online verfügbar.
Gisler, Priska: «Man hat uns für das Wenden der Ohren einen nützlichen Wink gegeben. Zur kolonialen Geschichte des Elefantenpräparats im Naturhistorischen Museum Bern», in K. Lee Chichester, Priska Gisler, Kunstmuseum Bern (Hrsg.): «Koloniale Tiere? Tierbilder im Kontext des Kolonialismus», Neofelis, Berlin, 2024, S. 279-304.
Naturhistorisches Museum Bern (Hrsg.): Podcast-Beitrag «Grosswildjagd und Kolonialgeschichte: Welche Rolle spiel(t)en wir?», mit Gesine Krüger, Historikerin Universität Zürich, Solomon Sebuliba, Umweltbiologe Universität Oldenburg, Antoine Spillmann, Safari Club International, Stefan Hertwig, Leiter Wirbeltiere NMBE, 2022, online verfügbar.
Schindler, Sara: «Auf Safari. Was ein Tierpräparat über die Geschichte der Jagdreisen in Afrika erzählt». Publiziert auf: Geschichteimpuls.ch, März 2025, online verfügbar.
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