Weniger Mückenstiche, beim Autofahren klatschen kaum noch Insekten gegen die Windschutzscheibe, und vom Verschwinden der Bienen haben die meisten auch schon mal gehört: Dass ein Insektensterben stattfindet, ist bekannt. Doch das Ausmass ist vielen nicht bewusst. In nur 30 Jahren sind drei Viertel der Biomasse an Fluginsekten verschwunden. Den stärksten Rückgang stellten Forscher:innen auf Flächen in landwirtschaftlich intensiv genutzter Umgebung fest. Aber auch im Wald findet das Insektensterben statt. Die Insekten-Biomasse in Wäldern hat zwischen 2008 und 2017 um 41 Prozent abgenommen. In den Wiesen war der Rückgang mit 67 Prozent sogar noch grösser. Wir befinden uns in einem globalen Artensterben eines Ausmasses, das sich mit dem letzten Massensterben vor sechzig Millionen Jahren vergleichen lässt, als die Dinosaurier von der Erdoberfläche verschwunden sind.
«Also auf Mücken kann ich gut verzichten!», heisst es schnell einmal. Dabei sind wir Menschen auf jedes Insekt angewiesen, auch auf Mücken. Wenn ein Insekt nicht gerade eine wichtige Rolle in der Bestäubung und somit für unsere Nahrung spielt, dann stellt es für andere Tiere eine bedeutende Nahrungsquelle dar, etwa für Vögel und Amphibien. Zudem sorgen die Insekten dafür, dass abgestorbene Pflanzen und Aas zersetzt wird und somit das Gleichgewicht in der Natur gewahrt bleibt. Kurz gesagt: Ohne Insekten gibt es kein Leben auf der Erde. Ist also schon alles verloren? Nein!
Vom Pestizidforscher bis zur Landwirtin
Das Naturhistorische Museum Bern nimmt sich nach dem Erfolg von «Queer — Vielfalt ist unsere Natur» mit der neuen Sonderausstellung «Insektensterben – Alles wird gut» wieder einem höchst aktuellen, gesellschaftspolitisch relevanten Thema an. Auf eine überraschende und provokant-optimistische Weise: Die Ausstellung entführt die Besucher:innen in die Zukunft, genauer ins Jahr 2053. Von dort blicken sie zurück auf unsere Gegenwart, in der es zahlreiche wirkungsvolle Ansätze und Initiativen gegeben hat, die das grosse Insektensterben abgewendet haben. In fünf individuell gestalteten Räumen zu den Themenfeldern «Landwirtschaft», «Pestizide», «Klimawandel», «Faszination Insekten» und «Lebensräume» spricht je eine Person zu den Besucher:innen, die im Jahr 2023 an der Rettung der Insekten beteiligt gewesen ist. Über Kopfhörer, aber auch durch zu entdeckende Informationen ist zu erfahren, was die Sprecher:innen initiiert haben. Dazu gehören ein Insektenspezialist, ein Förster, ein Pestizidforscher, eine Landwirtin und eine Gruppe von Aktivist:innen.
Von veränderten Lebensräumen und toten Nützlingen
Der ehemalige NMBE-Kurator Hans-Peter Wymann lädt die Besucher:innen an seinen Küchentisch ein, wo er via Audioaufnahme von seiner Faszination für Insekten erzählt, die schon im Kindesalter ihren Anfang nahm. Die Vielfalt und Einzigartigkeit der Lebewesen steht hier im Zentrum – ganz gemäss dem Motto: Man schützt, was man liebt. Im Raum zu den Pestiziden empfängt Alex Aebi die Besucher:innen in einem Labor. Hier erklärt der Pestizidforscher, warum die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln in der Natur unmöglich in einer Laborumgebung nachvollziehbar getestet werden können – zu komplex sind die verschiedenen Mechanismen, die sich gegenseitig beeinflussen. Verschiedene Studien und Informationstafeln zeigen auf, wie hierzulande verbotene Pestizide ins Ausland verkauft werden und so über Umwege – etwa in importiertem Tierfutter – wieder zurück in unser Ökosystem gelangen. Und es wird verdeutlicht, was auf der Hand liegt: Pestizide töten nicht nur unerwünschte Schädlinge, sondern auch Nützlinge. In einem nachgebauten Stall wartet das Themenfeld «Landwirtschaft» auf die Gäste. Landwirt:innen aus der ganzen Schweiz geben Einblick in ihre insektenfreundlichen Betriebe, in denen die einen etwa auf Rotationsweidesysteme und die anderen auf Mosaiklandwirtschaft setzen. Auch die grossen Problemfelder werden hier thematisiert – etwa Subventionszahlungen, die mit Milliardenbeträgen die Schädigung der Biodiversität fördern. Und während im Raum «Klimawandel» thematisiert wird, wie die Erderwärmung die Lebensräume der Insekten beeinflusst, zeigt der Bereich «Lebensräume» Massnahmen auf, die ergriffen werden, um eben diese zu schützen.
Der Prophet Franz Hohler
Den Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft spannt der Schriftsteller Franz Hohler. Im Jahr 2053 blickt der stolze, alte Prophet Hohler auf sein Lied «Der Weltuntergang» von 1973 zurück, das in der Ausstellung zu hören ist und aus heutiger Sicht erschreckend aktuell wirkt. Für die Ausstellung hat er eine neue Version geschrieben, die nicht minder aufrüttelnd wirkt – und welche die Besucher:innen zurück in die Gegenwart schickt. In dieser wartet ein Workshopraum mit vielseitigem Rahmenprogramm und Tipps für Eigeninitiativen auf die Gäste.
Eigeninitiative fördern
Das Museum will nicht nur die Besucher:innen zum Handeln animieren, sondern auch selbst als gutes Beispiel vorangehen. Aktuell wird der gesamte Museumsgarten im Sinne der Biodiversität umgestaltet – in Zusammenarbeit mit dem Museumsquartier Bern. Beim Bau der Raumelemente wurden rezyklierbare oder wiederverwendete Materialien verwendet. Und ab Frühjahr 2024 gastiert ein Pop-up-Marktstand der Berner Firma Flora di Berna auf dem Museumsgelände, der regionale Wildblumen anbietet, die in üblichen Gartencentern oft schwierig zu finden sind.
Und weil die Zukunft den Kindern gehört, werden auch sie in der Ausstellung direkt angesprochen: Dank einem eigenen Kinderpfad können sie sich mit den Inhalten altersgerecht auseinandersetzen und spielerisch eintauchen in die spannende und unentbehrliche Welt der Insekten.
Wir freuen uns, wenn Sie in Ihrem Medium über unsere Ausstellung berichten, und stehen Ihnen bei Fragen gerne zur Verfügung!
«Insektensterben – Alles wird gut»: Vom 3. November 2023 bis am 3. November 2024