Manuel Schweizer

Eine Uferschwalbe kommt selten allein

Forschung

Manuel Schweizer treibt dieselbe Frage um, die auch schon Alexander von Humboldt beschäftigt hat: Warum kommt eine Art in einer gewissen Region vor? Der Ornithologie-Kurator untersucht die Artenvielfalt am Beispiel der Uferschwalbe. Zu diesem Zweck reist er auch durchs Tibetische Plateau.

«Wie waren die Ferien?» – wenn Manuel Schweizer, Kurator für Ornithologie, von einer Forschungsreise zurückkehrt, hört er meist dieselbe Frage. «Die Arbeit draussen im Feld ist sicher der schönste Teil meines Jobs und entschädigt für die vielen im Labor, in Sammlungsräumen oder vor dem Computer verbrachten Stunden, doch sie ist auch anstrengend», betont Schweizer. Hunderte von Kilometern auf unbefestigten Strassen in einem klapprigen alten russischen Militärbus durch die mongolische Steppe auf der Suche nach bestimmten Vögeln. «Wozu das Ganze?», eine Frage, die Schweizer fast ebenso häufig hört. 

Warum gibt es in der Schweiz keine Papageien?

Schweizer interessiert sich in seiner Forschungsarbeit für die Entstehung der Artenvielfalt, insbesondere bei den Vögeln. Auf einer Wanderung im Hochgebirge in den Schweizer Alpen lässt sich mit etwas Glück der Schneefink beobachten, ein spatzenartiger Vogel mit auffallend weiss-schwarz gezeichneten Flügeln. Auf einer vergleichbaren Trekkingtour in der Bergwelt des Tibets kann man dagegen bis zu sechs verschiedene verwandte Arten unseres Schneefinken beobachten. Gleichzeitig sieht man immer wieder leuchtend rosafarbene Finken vorbeifliegen, so genannte Karmingimpel, die man in den Alpen vergebens sucht. Auf Papageien würden wir weder im Tibet noch in den Alpen treffen. In Südamerika dagegen haben verschiedene Arten von Papageien nahezu alle verfügbaren Lebensräume besiedelt, auch das Hochgebirge. 

Was schon Darwin beschäftigte, bereitet den Wissenschaftlern bis heute Kopfzerbrechen

In verschiedenen Gebieten der Erde trifft man auf ganz unterschiedliche Arten – seien es Vögel, Säugetiere oder Wirbellose. Und die Tropen sind generell artenreicher. Wie diese unterschiedliche Verteilung der Artenvielfalt erklärt werden kann, darüber machten sie schon grosse Naturforscher wie Alexander von Humboldt, Charles Darwin oder Alfred Russel Wallace Gedanken. Doch noch heute bleibt vieles ungeklärt und ist Gegenstand aktueller Forschung der so genannten Biogeographie. In diesem Bereich ist auch Manuel Schweizer, Kurator für Ornithologie am Naturhistorischen Museum, tätig. In seiner Doktorarbeit befasste er sich mit der Entstehungsgeschichte der Papageien, schon lange fasziniert ihn aber besonders die Biogeographie der Vögel der Wüsten, Steppen und Gebirge Eurasiens und Afrikas.

Die blasse Unterart, die sich als eigene Art erwies

«Um die Entstehung und geografische Verteilung der Artenvielfalt erforschen zu können, braucht es eine Bedingung: Man muss diese auch wirklich kennen,» sagt Schweizer. Doch dies sei nicht einmal bei einer gut erforschten Gruppe wie den Vögeln der Fall. Während der Arbeit an einem Bestimmungsbuch über die Vögel Zentralasiens, hat sich Schweizer zum ersten Mal eingehend mit den Uferschwalben befasst, kleinen braunen Zugvögeln, die in selbstgegrabenen Höhlen brüten. Lange gingen die Ornithologen von einer Uferschwalbenart in Eurasien aus, bis russische Forscher in den 1990er-Jahren eine wichtige Erkenntnis machten: In Zentralasien kommen eine blass gefärbte Form und die normale Uferschwalbe in den gleichen Gebieten vor – ohne gemischte Paare zu bilden. Die blasse Form wurde fortan als eigene Art angesehen, die Fahluferschwalbe. Später konnten auch genetische Unterschiede zwischen den beiden dokumentiert werden. Doch die Sache ist etwas komplizierter: Wie morphologische und genetische Analysen von Schweizer und Kollaborationspartnern in einer kürzlich erschienen Publikation zeigen konnten, könnte auch die Fahluferschwalbe aus mehreren, so genannten kryptischen Arten bestehen. 

Was ist eine kryptische Art?

Eine Kryptospezies oder auch kryptische Art ist in der Biologie eine morphologisch nicht unterscheidbare Gruppe (Population) von Lebewesen, bei der eine geschlechtliche Fortpflanzung mit anderen (bisher) zur gleichen Art gerechneten Individuen jedoch nicht möglich ist oder nur nicht fortpflanzungsfähige Nachkommen erzeugt. Man bezeichnet dies auch als reproduktive Isolation. Da ein wichtiges Kriterium der Definition einer Art (die Fortpflanzungsfähigkeit untereinander) nicht erfüllt ist, können sie nicht ein und derselben Art angehören (Quelle: Wikipedia). 

Die Vogelsammlung im Naturhistorischen Museum

Die Vogelsammlung des Naturhistorischen Museum Bern umfasst rund 34’000 Objekte. Den Hauptanteil machen  Bälge (8068 Objekte) und Montagen (6866 Objekte) aus. Bälge dienen wissenschaftliche Zwecken, es handelt sich um präparierte Vogelhäute, an denen Gefieder, Schnabel, Beine und Zehen belassen werden. Montagen sind präparierte Vögel, wie man sie aus den Ausstellungen der Museen kennt. Die Präparation einer Montage ist sehr aufwändig, daher werden heute Objekte nur dann zu Montagen präpariert, wenn sie in Ausstellungen gezeigt werden. Die Sammlung weist zudem einen wichtigen Anteil an Vogeleiern (8954 Gelege oder einzelne Eier), Skelette und /oder Schädel (2017 Objekte) sowie mehr als 800 Gewebeproben auf.

Was die Berner Vogelsammlung ausmacht, sind die umfangreichen Bestände von Exemplaren der europäischen und insbesondere der Schweizer Vogelfauna sowie Südamerika (hauptsächlich Brasilien) durch die Sammlung des bekannten Naturforschers Emil August Göldi (1859-1917). Neueren Datums ist die Skelettsammlung von Papageien (mittlerweile von 69 Arten) aus den Arbeiten von Prof. Marcel Güntert und Dr. Manuel Schweizer, die sich zum Alleinstellungsmerkmal des NMBE gemausert hat. 

Weitere Projekte von Schweizer

In anderen laufenden Projekten untersucht Schweizer zum Beispiel Artbildungsprozesse bei Steinschmätzern oder die Biogeographie der Karmingimpel. Vielleicht findet er dabei eine Antwort auf die Frage, warum diese im Himalaya so artenreich sind, unsere Alpen aber nicht besiedelt haben.  

Erbmaterial aus den Zehen

Die Fahluferschwalbe kommt nicht nur in Zentralasien vor, sondern auch auf dem Tibetischen Plateau, im südöstlichen Tiefland Chinas und im Nordwesten des Indischen Subkontinents. Diese Populationen unterscheiden sich nicht nur leicht in ihrer Färbung und Gestalt, sondern erwiesen sich als genetisch deutlich voneinander getrennt. Als Grundlage für diese Erkenntnisse dienten Untersuchungen an Bälgen aus Museumssammlungen – für wissenschaftliche Zwecke präparierte Vogelhäute inklusive Gefieder, Schnabel, Beinen und Zehen. An solchen Bälgen lassen sich nicht nur Unterschiede in Gefieder und Gestalt studieren, sie dienen auch als Quelle für DNA. Aus dem Hornmaterial der Zehen lässt sich nämlich auch bei mehr als hundert Jahre alten Exemplaren Erbmaterial für genetische Untersuchungen gewinnen. Aber auch frisch gesammelte Blutproben von gefangenen Vögeln wurden in die Studie einbezogen. Dafür reiste Schweizer 2016 mit seinem Kollaborationspartner Dr. Yang Liu von der Sun Yat-sen Universität in Guangzhou, China, auf das Tibetische Plateau. Viele hunderte Kilometer fuhren sie auf über 3000 Meter Höhe im Tibet auf der Suche nach Fahluferschwalbe herum, die erste grössere Kolonie konnten sie aber erst am zweitletzten Tag der Forschungsreise entdecken. 

Noch viele Fragen offen

Letzten Frühling, im Juni 2018, suchte Schweizer zusammen mit Prof. Sundev Gombobaatar von der nationalen Universität auf einer Expedition in der Mongolei nach Fahluferschwalben. Die Studie an diesen Vögeln ist nämlich noch lange nicht abgeschlossen. Zusammen mit Prof. Gerald Heckel von der Universität Bern betreut Schweizer momentan eine Doktorarbeit zum Thema. Gibt es zwischen den verschiedenen unterschiedlichen Formen keine Vermischung und lassen sich Anpassungen im Erbgut an ihre unterschiedlichen Lebensräume – Hochgebirge, zentralasiatische Steppe oder subtropisches Klima – finden? Diese zentralen Fragen wollen sie mit Hilfe von Daten aus dem ganzen Genom der Vögel untersuchen.