Naturhistorisches Museum Bern, Borneo Expedition, Forscher fangen eine Schlange

Meilenweit durch den Dschungel für die Frösche Borneos

Forschung

Wissenschaftler und Studenten nehmen etliche Strapazen in Kauf, um auf Borneo möglichst viele Frosch- und Krötenarten zu erfassen und deren Evolution zu verstehen. Eile ist angesagt, weil die Zerstörung des Regenwaldes voranschreitet.

Ein tropisches Klima mit ganzjährigen Durchschnittstemperaturen von 27 Grad, einer Luftfeuchtigkeit von über 80 Prozent und jährlichen Niederschlagsmengen an die 4000 Millimeter, dazu jede Menge Blutegel, Insekten, giftige Spinnen und Schlangen. Das sind gemeinhin nicht gerade äussere Bedingungen, die man sich für seinen Arbeitsplatz wünscht. Stefan Hertwig, Leiter der Abteilung Wirbeltiere und Kurator für Herpetologie am Naturhistorischen Museum Bern (NMBE), nimmt die Strapazen klaglos auf sich, weil er im Regenwald von Borneo ausgiebig Feldforschung betreiben kann. Vier bis fünf Wochen am Stück ist der gebürtige Deutsche jeweils mit Studenten und Forschern der Universität Bern, der malaysischen Universitäten Kota Kinabalu und Kuching sowie des Zoologischen Museums der Universität Hamburg unterwegs, um in verschiedenen Lebensräumen Frösche, Kröten und Kaulquappen zu sammeln. «Ziel unserer Arbeit ist es, ein möglichst umfassendes Inventar der auf Borneo vorkommenden Amphibienarten und ihrer Larven zu erstellen», sagt Hertwig. Seit dem Start des Projektes Frogs of Borneo im Jahre 2006 ist so einiges an Forschungsmaterial zusammengekommen. Mehrere Tausend Exemplare wurden bis dato wissenschaftlich erfasst und deren Lebensräume untersucht.

Die Forschung und ihre Tücken vor Ort

Bevor die Urwaldexpeditionen starten können, müssen diverse bürokratische Hürden überwunden werden. Daher beginnt die Vorbereitung einer Reise Monate vor Abflug mit ungezählten Emails und Formularen, um alle erforderlichen Genehmigungen zu bekommen. Auch in den ersten Tagen auf Borneo eilt Stefan Hertwig von Büro zu Büro, schüttelt Hände und füllt fleissig weitere Formulare aus. Da etliche Beamte den Berner Zoologen unterdessen kennen und auch dank der Fürsprache der Kollegen vor Ort ist das Prozedere nicht ganz so zeit- und nervenaufreibend wie zu Beginn des Mehrnationen-Projekts.

Die Anreise in die zumeist entlegenen Forschungsgebiete ist kein Pappenstiel. Holprige Fahrten mit Geländewagen auf abenteuerlichen Pisten und zum Teil tagelange Treckingtouren in unwegsamem Gelände, und dies nicht selten mit bis zu 20 Kilogramm Gepäck am Rücken, gehören zum Standardprogramm. Erschwert wird das Unterfangen durch das tropische Klima, lästige Insekten, Spinnen sowie Giftschlangen.

So war Hertwig und sein Team 2017 in den Bergen des Maliau Basins. Wie schon bei früheren Expeditionen waren sie auf einheimische Führer und Träger angewiesen. Hertwig erzählt: «Es gibt viele kleine Abenteuer zu bestehen: steile Aufstiege mit wackeligen Leitern, Bormbardierkäfer in der Socke, was zu einer unangenehmen Verbrennung am Zeh führt, extrem schmerzhafte Stiche der Nightwasp, Millionen von Blutegeln auf dem Weg.»

Bei den Frosch-Expeditionen in den Regenwäldern von Borneo ist viel Nachtarbeit angesagt. Sobald es dunkel ist, schwärmen die Forscher in Zweierteams aus und machen sich auf die Suche nach den nachtaktiven Amphibien. Haben sie irgendwo ein Tier aufgestöbert, wird es vor Ort fotografiert und gegebenenfalls mitgenommen. Die nächtlichen Sammelaktionen dauern nicht selten sieben bis acht Stunden. Nach der Rückkehr ins Camp wird nur kurzzeitig geruht. Danach wird fotografiert, dokumentiert, präpariert und erneut im Feld gearbeitet. Nach dem Abendessen geht es wieder in den Wald.

Die Arbeit im Labor

Ein grosser Teil der Forschungsarbeit geschieht in den Laboren des NMBE, der Uni Kuching und des Zoologischen Instituts Hamburg. Hier werden die Frösche und Kaulquappen sorgfältig vermessen und genetisch untersucht, um die äusserlich oft sehr ähnlichen Arten unterscheiden zu können. Die aufwändigen Arbeiten führen längst nicht in jedem Fall zu einer aufsehenerregenden Entdeckung, wie sie nach der vorletzten Reise im Herbst 2016 geschah. Bei Gentests einer nur rund 2,5 cm grossen Bachkröte stellte sich heraus, dass es sich um eine bisher unbekannte Art handelt. Wegen ihres feingliedrigen Körperbaus erhielt sie den Namen Ansonia teneritas (tener = lat. Zart).

Rund 40 unbeschriebene Arten hat das Forschungsprojekt Frogs of Borneo bis dato gefunden. Auf ein Vielfaches schätzt Hertwig die Zahl der noch unentdeckten. «In den Tropenregionen gibt es unzählige Frösche und Kröten. Darunter hat es solche, die nur an einem einzigen Bach, auf einer Bergspitze oder in einem Feuchtgebiet mit seltener Vegetation leben.»

Nächste Expeditionen

Auch wenn das Projekt Frogs of Borneo schon mehr als eine Dekade läuft, ist noch längst kein Ende in Sicht. Die biologische Vielfalt auf der drittgrössten Insel der Welt ist immens, die Zahl der unbeschriebenen Arten ganz beträchtlich. Zudem sind Lebensweise und Verbreitung auch bereits bekannter Arten in den Tropen weitgehend unbekannt. Völlig offen ist auch die Frage, warum es dort so viele Arten mit winzigem Lebensraum oder sehr ähnlichem Aussehen gibt. Das Wissenschaftsteam unter der Leitung von Stefan Hertwig will daher in den nächsten Jahren möglichst viele Lücken schliessen. Allerdings ist es ein Wettlauf gegen die Zeit, denn wie im Amazonasgebiet schreitet die Zerstörung der Umwelt rasant voran. «Vor 60 Jahren war Borneo noch komplett von Urwald bedeckt. Heute fliegt man stundenlang über Ölpalmenplantagen», berichtet Hertwig. Seit Jahrzehnten wird der Regenwald gerodet und für Palmölplantagen urban gemacht. Das gewonnene Öl ist Bestandteil vieler Produkte unseres täglichen Gebrauchs.

Rare Funde

  1. Red Hot Chili Pepper (Calluella capsa): Von dem Frosch fanden die Forscher bisher nur zwei Exemplare, wovon eines erst noch tot auf einer Strasse lag.
  2. Schwarze Witwe (Ansonia vidua): Am Mount Murud stiessen die Wissenschafter auf vier schwarze Kröten; die Funde waren auch deshalb ungewöhnlich, weil sich darunter kein einziges Männchen befand. «Normalerweise entdecken wir viel häufiger männliche Amphibien, weil sie quaken», sagt Hertwig.